Nachtschicht: „Wir haben nur den einen Planeten“

„Wir haben nur den einen Planeten“
Tiefsee- und Polarforscherin Antje Boetius nahm NachtschichtbesucherInnen mit auf eine Reise ins doch nicht so „Ewige Eis“

Das Foto eines Eisbären mitten im scheinbar unendlichen Weiß, kalbende Gletscherriesen, das Forschungsschiff Polarstein eingeschlossen im Treibeis, Sequenzen eines Tauchgangs in der Antarktis – die mehrfach preisgekrönte Meeresforscherin Antje Boetius nahm die BesucherInnen des Nachtschicht-Gottesdienstes mit auf eine faszinierende Expedition zu den Polen und ins dunkle Paradies der Tiefsee. 90 Minuten ein Wechselbad der Gefühle: Frösteln beim Anblick der brütenden Pinguine, Schaudern beim beklemmenden Tauchgang der Wissenschaftlerin unterhalb einer dicken Eisschicht, herzerwärmende Videos übers Eis tapsenden Eisbär-Jungen, Staunen über bislang nie gesehene, „drollige“ Tiefseelebewesen, gefolgt von romantischen Gefühlen beim Anblick der Forschungsstation im Schein des Polarlichts und dann die wachrüttelnden Berichte der Wissenschaftlerin, wie der menschgemachte Klimawandel dieses Paradies gefährdet.

Die diesjährige Nachtschicht-Staffel befasst sich mit dem Thema „Wasser“. Passend dazu hatten Pfarrer Ralf Vogel und sein Team am UNO-Tag des Wassers die „Advokatin der Meere“ in die bis auf den letzten Platz gefüllte Andreaskirche Obertürkheim gelockt. Mit unter die Haut gehenden Erzählungen vermittelte die Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts die Schönheit und Verletzlichkeit der Ozeane. Die Romane von Jules Vernes haben in Boetius schon früh das Interesse für den Ozean geweckt. Dank der technischen Mittel hat sie heute die Möglichkeit, das zu entdecken, was Vernes nur ahnte: die „unfassbare Vielfalt“ an Arten und die Schönheit an den Polen und in der Tiefsee. „Dabei zu sein, bei dem Naturspektakel, wenn Eis bricht, lässt einen Respekt und Liebe zur Natur empfinden.“ Man spüre den Zusammenhang des Netzwerkes Natur. In einem Teelöffel Meeresboden leben beispielsweise eine Milliarde Einzellern, die alle dafür sorgen, dass die Erde funktioniert. Aber Boetius und ihre KollegInnen erkennen auch, was die Erwärmung der Erde und das Schwinden des Eises für Konsequenzen für alles Leben hat. Über Hunderte von Millionen Jahren habe sich die Vielfalt des Lebens entwickelt. Über lange Zeiträume habe ein fantastisches Gleichgewicht bestanden. „Wir sind es nun, die an der selbstregulatorischen Schraube der Erde drehen, sodass wir uns in kurzer Zeit in ein geologisches Zeitalter geschleudert haben, das längst vergangen ist. Wir müssen verstehen, dass was wir heute tun, die Menschen in hundert Jahren spüren. Wir müssen jetzt reagieren, damit Teile der Erde nicht unbewohnbar werden.“ Die Folgen seien bereits in der Polarregion nachweisbar. Die Eiskappen schmelzen. In den vergangenen fünf Jahren habe die Erde genauso große Eismassen verloren, wie in den 30 Jahren zuvor. Gleichzeitig werde der Ozean wärmer und der Meeresspiegel steige an.Doch was macht der Forscherin Hoffnung?, fragte Vogel. „Wissen“, sagt sie. „Ich als Wissenschaftlerin verstehe, was schief läuft und die Wissenschaft kennt Lösungen. Wir brauchen Regeln, dass wir uns besser mit der Natur vertragen. Wir müssen den Rahmen ändern, dass alles was Schäden anrichtet, teuer oder strafbar wird und alles, was die Natur als Kreislauf ansieht, müsste günstiger und einfacher zugänglich sein.“ Zu diesem Weg gebe es keine Alternative. „Denn wir haben nur diesen einen Planeten“, sagte Boetius.

Musikalisch begleitetet das Duo Contradanza, Ruth Sabadino am Saxofon und Claudia Großekathehöfer am Klavier und an der Orgel, den Gottesdienst virtuos mit einer Mischung aus Tango und Klezmer.
(Fotos: © Martin Eisele-Remppis, Stuttgart; Text: Mathias Kuhn)