Luginsland – Die Weihnachtszeit eingeläutet – Bachs Weihnachtsoratorium

Die Weihnachtszeit eingeläutet – Bachs Weihnachtsoratorium in Untertürkheim

Die alljährlich wiederkehrende Aufführung des Weihnachtsoratoriums hat ganz besonders in schwierigen Zeiten Ritualcharakter. In der Luginsländer Gartenstadtkirche hatten sich am ersten Advent alle verfügbaren oratorienkundige Kräfte des Neckarvorortes eingefunden, um die Weihnachtszeit mit feierlichem Ernst einzuläuten. Neben der bestens vorbereiteten Untertürkheimer Kantorei, die ihr 130igstes Jubliäum feierte, waren fast alle Gesangssolist*innen ortsansässig. Untertürkheim ist ein Ort des Gesanges. Micha Stadlers Bühnenbild mit sämtlichen Kirchen des Ortes bot eine eindrucksvolle Kulisse im Hintergrund.

Pfarrer i. R. Reinhard Mayr, der als Johann Sebastian Bach verkleidet durch die Aufführung des Familienweihnachtsoratoriums am Vortag führte Foto: Sabine Zimmermann

Die Aufteilung des Weihnachtsoratoriums in sechs Kantaten ermöglicht vielfältige Aufführungsvarianten – Kantorin Irene Ziegler hatte die Kantaten 1, 3 und 4 gewählt, ein Verzicht auf die Engelsverkündigung an die Hirten, stattdessen war die Erzählung der Beschneidung und Namensgebung Jesus zu  hören, die ihren Höhepunkt in der zauberhaften Echo-Arie findet: die Ehrerbietung bei der Nennung seines Namens.

Bach hat im Weihnachtsoratorium reichlich parodiert, sprich einen Großteil der Chor- und Solosätze weltlichen Festmusiken entnommen, so auch den bekannten wie beliebten Eingangschor „Jauchzet, frohlocket“ – Irene Ziegler wählte gemessene Tempi, so dass das Figurative in Chor und Orchester Zeit und Raum hatte, sich spielerisch zu entfalten. Ein ständiger Gast in Untertürkheim ist das hervorragende Streicherensemble unter Ulrike Fromm-Pfeifer, das durch wunderbare Bläser ergänzt wurde – besonders zu nennen die Trompeten in der Bass-Arie „Großer Herr und starker König“ oder die Oboi d’amore im Bass-Sopran-Duett „Herr dein Mitleid“.

Die angenehm unterschiedlichen Stimmfarben der Gesangssolist*innen boten einen dramaturgisch spannenden Kontrast zu den Tutti-Ensembles. Der Evangelist Markus Elsässer besitzt eine sehr hohe, schlanke Tenorstimme, die es ihm ermöglicht, die höchsten Lagen strahlend, souverän und sprachlich verständlich zu meistern, ohne zu schmettern oder zu falsettieren. Pascal Zurek wusste mit seiner schönen Bass-Bariton-Stimme nicht nur klanglich zu beeindrucken, sondern auch mit eindringlicher Deklamation in den Rezitativen. Ein würdiger Ersatz für die kurzfristig erkrankte Altistin Sabine Czinczel war Pauline Stöhr – sehr musikalisch und stilsicher und offenbar mit der barocken historischen Aufführungspraxis sehr vertraut.

Ruth Dobers vollendete das Quartett mit silbrig-soubrettigem Stimmtimbre und beeindruckte zusammen mit der für Julia Vetter eingesprungenen Echo-Sopranistin Ilka Gabius in der schon erwähnten Echo-Arie, die so scheinbar lieblich daherkommt, aber essentielle Fragen stellt: Flößt der Name des Heilands strengen Schrecken ein? Soll ich das Sterben scheuen? Soll ich mich stattdessen erfreuen? Die Antworten des Echos, mal ja, mal nein, kamen nicht piepsig-dünn, wie man das oft hört, sondern selbstbewusst und klar, und so konnte man die verborgene Dramatik dieser Arie räumlich miterleben.

Leider waren im Publikum noch einige Reihen unbesetzt (bedingt durch den hohen Krankenstand oder weil wir keine Lokalpresse mehr haben?). Dennoch konnte sich Irene Ziegler auf ihre große Fan-Gemeinde in Untertürkheim verlassen, die am Schluss herzlichen Beifall zollte. Das gemeinsam gesungene „O du fröhliche“ entließ die Zuhörenden weihnachtlich gestimmt in die kalte Winternacht.  – Renate Brosch –