Hedelfingen – Davon geht die Welt doch unter

Davon geht die Welt doch unter
Gedenkveranstaltung in der Hedelfinger Kreuzkirche zu den Bücherverbrennungen vor 90 Jahren

Die Hedelfinger Kreuzkirche wurde im Oktober 1930 eingeweiht. Zweieinhalb Jahre später – die Nazis hatten gerade etwas mehr als drei Monate die Macht an sich gerissen – zeigten sie erstmals ihre zerstörerische Gesinnung. Am 10. Mai 1933 flammten in 70 deutschen Städten Feuer auf. Die Nazi-Schergen ließen Bücher von systemkritischen und jüdischen Schriftstellern verbrennen. Von den neuen Machthabern als „undeutsch“ verschriene Literatur „wurden dem Feuer übergeben.“ Werke von weltweit geachteten Autoren wie Heinrich Mann, Carl von Ossietzky, Sigmund Freud, Karl Marx, Theodor Wolff und anderen landeten auf Scheiterhaufen. „20 000 Bücher. Kultur und Wissen wurde systematisch unterdrückt“, sagte Matthias Baisch, der Vorsitzende des Fördervereins Alte Kirche und Kreuzkirche.

Hans-Joachim Schau, Michael Wießmeyer, Barbara Straub, Marie Ströbel,  Harald Haury, Matthias Baisch, Ulrich Walddörfer sowie Carmen Mammoser (von links) gestalteten die Gedenkfeier zur Bücherverbrennung vor 90 Jahren. Foto: M. Kuhn
Verfolgte Schriftsteller

Mit dem Förderverein Altes Haus wollten die Kirchenaktiven an die Bücherverbrennung vor 90 Jahren erinnern. „Als Gedenkveranstaltung für die Opfer und als Mahnung, für die Freiheit des Denkens zu kämpfen“, so Baisch. Rund hundert BesucherInnen kamen dazu am Samstagabend in die Kreuzkirche. „Wir haben dazu fünf Autoren exemplarisch ausgewählt, deren Texte vorgelesen werden“, erklärte Michael Wießmeyer, der erste Vorsitzende des Fördervereins Altes Haus. Mit dem Begrüßungs-Song („Willkommen, Bienvenue, Wellcome“) aus dem Musical „Cabaret“ führten Opernsängerin Carmen Mammoser-Walddörfer und Ulrich Walddörfer am Klavier die ZuhörerInnen in die Welt der „wilden Zwanziger des 20. Jahrhunderts.“ Es war die Zeit in der Joachim Ringelnatz – noch – wirkte. Denn bald bekam der überzeugte Pazifist Auftrittsverbot. Seine Texte waren zu kritisch. Hans-Joachim Schau trug drei kurze Stücke vor. Geächtet wurden auch Berthold Brecht, Kurt Tucholsky sowie Erika, Klaus und Heinrich Mann. Sie mussten ins Ausland fliehen, um der Gewalt der Nazi-Schergen zu entgehen. In seinem Gedicht „Bücherverbrennung“ – vorgelesen von Carmen Mammoser-Walddörfer – ging Brecht auf die Umtriebe des Regimes ein. Andächtige Stille. Die Gäste in der Kreuzkirche bekamen mit, dass einige intellektuelle Geister das Unheil der kommenden Jahre vorhersahen.

Mit Ironie gegen das Unrechtsregime

Welch‘ Weitsicht der Journalist Kurt Tucholsky besaß, offenbarte sich in seinen von Harald Haury vorgetragenen Gedichten „Publikum“ und „Europa“. Ironisch-amüsante Zeilen, die heute noch gültig, erschreckend bitter und wahr sind. Offenbar zu gefährlich für die Nazis. Mut bewies auch Erika Mann – beispielsweise bei Auftritten in der Pfeffermühle. In ihrem Lied „Der Prinz von Lügeland“ besingt sie die Kunst des Lügens: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht; wer immer lügt, dem wird man glauben“, heißt es in dem von Barbara Straub vorgelesenen Text. Den Abschluss bildete ein als erfahrener Kinderbuch bekannter Autor: Erich Kästner. Trotz seiner Erfolge fand sich auch der systemkritische Kästner auf der Liste der verbotenen Schriftsteller wieder und musste mitansehen, wie seine Schriften am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz in Flammen aufgingen.Marie Schöbel las aus seinem Gedicht „Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?“

Für die Freiheit des Denkens kämpfen

Mit den Filmhits „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ und „Davon geht die Welt nicht unter“ holte Carmen Mammoser die ZuhörerInnen zudem in die Nazi-Propaganda-Zeit. Jene Kriegsjahre, in denen die Welt längst in Trümmern lag und Millionen Menschen ermordet wurden. Heinrich Heines Vorahnung aus dem 19. Jahrhundert war wahr geworden: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“
-Text und Foto: Mathias Kuhn –